Prekäre Arbeitssituation von Lehrpersonen für «Heimatliche Sprache und Kultur» (HSK)

Tuesday, 15. October 2013, 1:14 138179964001Tue, 15 Oct 2013 01:14:00 +0100, Posted by admin1 in Heft 183, No Comments.

Prekäre Arbeitssituation von Lehrpersonen für «Heimatliche Sprache und Kultur» (HSK)


Die Ausbildung der HSK-Lehrpersonen ist vergleichbar mit den schweizerischen Lehrpersonen, die Löhne sind dagegen oftmals sehr unterschiedlich. Ergebnisse einer Erhebung in den Kantonen Bern, Genf, Jura, Luzern, Solothurn und Waadt1.

Von Ruth Calderón und Rosita Fibbi

Die Erhebung zur Arbeitssituation und zu den Weiterbildungsbedürfnissen der Lehrpersonen in heimatlicher Sprache und Kultur (HSK) soll dazu beitragen, ein realistisches Bild von den Voraussetzungen und Bedürfnissen dieser Lehrpersonen im Hinblick auf künftige Weiterbildungsangebote und Verbesserungen der Rahmenbedingungen für den HSK-Unterricht zu erhalten.
In der Erhebung werden die HauptakteurInnen der HSK-Kurse, die Lehrpersonen selbst, befragt. Die HSK-Lehrpersonen sind der Einladung zur Teilnahme an der Umfrage in grosser Zahl gefolgt: 231 unter ihnen, das heisst 52 Prozent der angefragten Personen, haben teilgenommen. Die Erhebung wurde in den Kantonen Bern, Genf, Jura, Luzern, Solothurn und Waadt durchgeführt.
Die Ergebnisse zeigen, dass es im Hinblick auf die Arbeitssituation der HSK-Lehrpersonen keine grundlegenden Unterschiede gibt zwischen den beiden Sprachregionen. Hingegen spielt die Art der Trägerschaft, die den HSK-Unterricht organisiert und anbietet, eine wesentliche Rolle. Die HSK-Lehrpersonen lassen sich je zur Hälfte nach zwei Gruppen unterscheiden.

Rahmenbedingungen bei konsularischen und privaten Trägerschaften
Bei HSK-Schulen, die von Konsulaten oder Botschaften getragen werden, verfügen die Lehrpersonen meist über einen tertiären Abschluss (80 Prozent) und ein Lehrdiplom, haben sichere Anstellungsbedingungen (Monatslohn) und unterrichten hauptberuflich. Sie leben kürzere Zeit in der Schweiz und ihr Aufenthalt ist auf einige Jahre befristet (Rotationsprinzip). Diese Trägerschaften sind im Hinblick auf die Anzahl Kurse und SchülerInnen weit grösser als diejenigen der privaten Trägerschaften und verfügen über eine professionell geführte Koordination. Ihre Zukunft ist unsicher, da die Herkunftsstaaten das Angebot aus Spargründen abbauen.
Bei HSK-Schulen privater Trägerschaften verfügen die Lehrpersonen über unterschiedliche Bildungsvoraussetzungen für ihre Tätigkeit. Die Mehrheit hat einen tertiären Abschluss (70 Prozent) und ein Lehrdiplom. Rund ein Viertel verfügt nicht über eine pädagogische Ausbildung. Die HSK-Lehrpersonen haben meist prekäre Anstellungsbedingungen (Stundenlohn, 60 Prozent ohne Vertrag). 70 Prozent unterrichten in kleinen Pensen von 2 bis 4 Wochenstunden, fast 40 Prozent dieser Personen erhalten maximal 20 Franken pro Unterrichtsstunde. Der HSK-Unterricht ist entsprechend meist eine nebenberufliche Tätigkeit. Diese HSK-Lehrpersonen leben längere Zeit in der Schweiz, 30 Prozent unter ihnen sind Schweizer BürgerInnen. Diese Schulen verfügen meist über eine ehrenamtlich geführte Koordination. Das HSK-Angebot der privaten Trägerschaften wird in Zukunft eher wachsen oder gleich gross bleiben.
Betrachten wir die Honorare in Verbindung mit den Unterrichtspensen, variiert das monatliche Einkommen je nach Grösse des Pensums sowie Höhe und Art der Entschädigung beträchtlich. Rund 80 Prozent der Lehrpersonen mit einem Kleinpensum von 2 bis 4 Wochenstunden erhalten maximal 40 Franken Stundenlohn, das heisst 38 Prozent zwischen 1 bis 20 Franken und 43  Prozent zwischen 21 und 40 Franken (vgl. Grafik 1). Bei den 45 Prozent HSK-Lehrpersonen, die in der Form eines Monatslohns bezahlt werden, verdienen 35 Prozent zwischen 3000 und 4000 Franken, und 30 Prozent zwischen 4000 und 6000 Franken (vgl. Grafik 2). Diese Löhne erhalten fast ausschliesslich Lehrpersonen, die 11 bis 20 Stunden pro Woche oder mehr als 20 Stunden unterrichten (vgl. Grafik 2).
Was den Bildungshintergrund betrifft kann insgesamt festgestellt werden, dass das Niveau der meisten HSK-Lehrpersonen (86 Prozent) mit pädagogischer Grundausbildung vom Bildungsumfang her vergleichbar mit demjenigen der schweizerischen Lehrpersonen ist.

 

Grafik 2

 

Integration der HSK-Lehrpersonen in die Volksschule auch über Weiterbildung
Die schwache Integration der HSK-Lehrpersonen in die Strukturen der Volksschule zeigt sich in ihren spärlichen Kontakten mit den schweizerischen KollegInnen und den Schulbehörden wie auch im nur teilweise gewährten Zugang zur schulischen Infrastruktur, was Räumlichkeiten und Schulmaterial betrifft. Hier braucht es Verbesserungen, wenn die HSK-Schulen und ihre Lehrpersonen vom Status als tolerierte aber wenig willkommene Gäste in den Volksschulen befreit werden sollen, ein Status der in deutlichem Kontrast zur neuen Politik der Förderung der Mehrsprachigkeit steht.
Mangelnde Kontakte mit der Volksschule gehen nicht einher mit einem Desinteresse der HSK-Lehrpersonen an der öffentlichen Schule, wie die Resultate der Erhebung zeigen. Im Gegenteil weist das von der grossen Mehrheit favorisierte Weiterbildungsthema «Zusammenarbeit der HSK-Schulen mit der Volksschule» darauf hin, dass es bei der Zusammenarbeit mit VertreterInnen der Volksschule aus Sicht der HSK-Lehrpersonen Entwicklungspotenzial gibt. Im Rahmen von Weiterbildungen könnten erste konkrete Schritte in diese Richtung unternommen werden. Naheliegenderweise müssten dann auch Lehrpersonen der Regelschulen eingebunden werden.
Die HSK-Lehrpersonen haben ein ausgewiesenes Interesse sich weiterzubilden. Fast zwei Drittel unter ihnen besuchten in den letzten drei Jahren Weiterbildungen, welche je rund zur Hälfte durch ihre eigenen Trägerschaften und durch schweizerische Institutionen angeboten wurden. Ihre Bedürfnisse nach künftiger Weiterbildung sind ebenfalls beachtlich: drei von vier HSK-Lehrpersonen sind bereit, bis zu 30 Stunden jährlich dafür zu investieren. Neben dem oben genannten Thema wünschen sie Angebote zum «Unterricht in heterogenen Klassen». In den HSK-Klassen bestehen grosse Unterschiede bezüglich der Kompetenzen in der Herkunftssprache und des Alters der SchülerInnen. Ebenso gewünscht werden Weiterbildungen zur «Fremd- respektive Zweitsprachdidaktik» und zur «Entwicklung der Mehrsprachigkeit».
Der Zugang der HSK-Lehrpersonen zur regulären Weiterbildung der Lehrpersonen ist nicht in allen untersuchten Kantonen gewährleistet. So sind denn auch die am meisten genannten Gründe derjenigen, die keine Weiterbildung besucht hatten, dass entweder die Weiterbildungsangebote nicht bekannt sind oder die HSK-Lehrpersonen keinen Zugang dazu haben. Dazu kommt, dass Lehrpersonen mit einem kleinen Unterrichtspensum mit zahlreichen zeitlichen und finanziellen Hürden konfrontiert sind. Ein deutliches Ergebnis zeigt die Frage nach den Kosten: Die Weiterbildungen für HSK-Lehrpersonen müssen möglichst kostenlos sein (Grafik 3). Damit insbesondere auch solche mit einem kleinen Pensum nicht aus finanziellen Gründen (wegen Erwerbseinbussen bei der Haupterwerbstätigkeit oder Kosten für die Kinderbetreuung) auf Weiterbildung verzichten, müssten zudem Mittel und Wege gefunden werden, diesen die eingesetzte Zeit angemessen zu vergüten. Im Kanton Genf besteht zum Beispiel eine gesetzliche Grundlage2, die eine Entschädigung ermöglicht. Eine entsprechende Praxis gibt es bereits bei der Aus- und Weiterbildung von interkulturell Dolmetschenden im Kanton Genf.

Zukunft der HSK-Kurse: weniger Konsulatsangebote, mehr private Trägerschaften
Die Arbeitsmöglichkeiten als HSK-Lehrperson hängen auch von den Zukunftsperspektiven der Trägerschaften ab. Mehr als die Hälfte ist optimistisch bezüglich der Zukunft und erwartet, dass das HSK-Angebot ihrer Trägerschaft wachsen oder gleich gross bleiben wird.
Allerdings stehen die Lehrpersonen einiger Konsulatsschulen, insbesondere derjenigen von Italien und Portugal, vor einer unsicheren Zukunft, was sich auch in deren Einschätzung der künftigen Entwicklung ihrer HSK-Kurse widerspiegelt. Da diese Staaten aufgrund von knappen finanziellen Mitteln bei den HSK-Schulen Abstriche machen, muss mit Veränderungen im Angebot und bei den Arbeitsbedingungen dieser Lehrpersonen gerechnet werden.
Mit diesem Abbau geht nicht automatisch der Bedarf an HSK-Unterricht zurück, die Gefahr besteht jedoch, dass künftig die Qualität des Unterrichts darunter leiden könnte. Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft analog zu den Initiativen von Sprachgemeinschaften, bei denen keine staatliche Trägerschaft eines Herkunftslandes zur Verfügung steht, ebenfalls vermehrt private Träger den HSK-Unterricht in diesen Sprachen übernehmen werden. Von daher wäre es sinnvoll, generell die Organisation von HSK-Trägerschaften auf privater Basis (Vereine, Stiftungen) von Seiten der Kantone systematisch zu fördern und zu unterstützen.

HSK-Unterricht fördert die Mehrsprachigkeit
Der HSK-Unterricht leistet einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Mehrsprachigkeit in der Schweiz, welcher umso nennenswerter ist, als das öffentliche Schulsystem bisher finanziell kaum dazu beigetragen hat. Investitionen in die Qualität des HSK-Unterrichts und das Potenzial der Lehrpersonen bedeuten eine optimale Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Gut informierte und in die schulischen Strukturen integrierte HSK-Lehrpersonen können in einer zunehmend vielfältigen Gesellschaft die mehrsprachigen Kinder in ihrer bikulturellen Identität stärken und schulisch fördern. Die regelmässige Zusammenarbeit zwischen Lehrpersonen der Volksschule und der HSK-Kurse bedeutet sowohl für diese selbst wie auch für alle Kinder ein Gewinn.
Aufgrund der Resultate dieser Erhebung und der vorangehenden Überlegungen ergeben sich verschiedene Handlungsfelder:
Die kantonalen Bildungsdirektionen können – allenfalls auch in Zusammenarbeit mit Integrationsfachstellen – die HSK-Trägerschaften, insbesondere die meist ehrenamtlich tätigen HSK-Trägervereine, bei der Organisation des Angebots unterstützen, indem sie informieren, beraten und koordinieren. Sie können zudem die Gemeinden und Schulleitungen im Rahmen von Empfehlungen anleiten zur lokalen Integration der HSK-Kurse in die Volksschulen, insbesondere was den Zugang zur schulischen Infrastruktur und die Verbesserung der gegenseitigen Kontakte anbelangt.
Die Institutionen der LehrerInnenbildung können die Lehrpersonen der Volksschule in der Aus- und Weiterbildung auf die Zusammenarbeit mit HSK-Lehrpersonen vorbereiten. Sie können zudem spezifische Weiterbildungsangebote für HSK-Lehrpersonen anbieten.
HSK-Lehrpersonen haben regelmässig Kontakt mit den Eltern. Sie können auch als Brückenbauende zwischen Migrationsfamilien und Volksschule und im Hinblick auf Beratung in Erziehungsfragen im interkulturellen Umfeld und der zwei- und mehrsprachigen Bildung eine wichtige Rolle spielen. Allerdings müsste diese zusätzliche und nachhaltige Integrationsarbeit bei Vereinsträgerschaften entsprechend entschädigt und in partnerschaftlicher Weise geleistet werden.

Co-Projektleitung der Erhebung zur Arbeitssituation und den Weiterbildungsbedürfnissen der HSK-Lehrpersonen:

Ruth Calderón ist Inhaberin von rc consulta, einem Büro für sozial- und bildungspolitische Fragestellungen. Sie ist Fachexpertin für Integration und interkulturelle Bildung. HSK-Schulen kennt sie unter anderem auch durch ihr Engagement als Vorstandsmitglied der Lateinamerikanischen (HSK-)Schule in Bern.
Rosita Fibbi forscht zu Migrations- und Integrationsfragen am Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien SFM in Neuenburg und lehrt an der Universität Lausanne.


1 Ruth Calderón, Rosita Fibbi, Jasmine Truong (2013): Arbeitssituation und Weiterbildungsbedürfnisse von Lehrpersonen für Kurse in Heimatlicher Sprache und Kultur (HSK). Erhebung in sechs Kantonen (BE, GE, JU, LU, SO und VD). Bern und Neuenburg, Veröffentlichung Anfang November 2013 im Internet auf: www.rc-consulta.ch, www.migration-population.ch
2 Loi sur la formation continue des adultes (LFCA).


 

Neue Modelle für HSK
Der Erstsprachunterricht in der Schweiz findet oftmals unter prekären Bedingungen statt. Um dessen Rahmenbedingungen zu verbessern und einen weiteren Ausbau zu ermöglichen diskutieren wir an der Tagung Fragen der Organisation, Finanzierung sowie Didaktik des HSK-Unterrichts in der Schweiz.
Ein Blick über die Landesgrenzen zeigt, dass in einigen europäischen Staaten der Erstsprachunterricht für Migrantenkinder weitgehend in das öffentliche Bildungssystem integriert ist. In welcher Weise wäre das auch in der Schweiz sinnvoll und möglich?
Das Programm der Tagung liegt dieser Ausgabe der bildungspolitik bei.

Anmeldung und weitere Informationen unter
info@linguaprima.ch
www.linguaprima.ch

Foto: Ermolaev Aleksandr – Fotolia.com
Grafik 1 und 2: Quelle: Calderón, Fibbi, Truong 2013
Grafik 3: Quelle: Calderón, Fibbi, Truong 2013

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