Wednesday, 10. June 2020, 21:52 159182597309Wed, 10 Jun 2020 21:52:53 +0100, Posted by admin1 in Heft 217, 0 Comments

Inhalt 217


Corona continued

Die Corona-Krise scheint nahezu überwunden. Wie geht es weiter mit dem Unterricht an den (Hoch)Schulen?

04 Gewonnene Zeit nutzen!
Schutzkonzepte müssen weiterentwickelt werden.

05 Schule durch die Krise getragen
Viele Lehrpersonen unterrichten trotz Risiko-Vorerkrankung. 

06 Region Basel
Die ersten Wochen nach der Wiedereröffnung.

07 Kanton Bern
Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts.

08 Schule unterwegs
Eine Lehrerin auf neuen Wegen des Unterrichtens.

10 Präsenzunterricht unverzichtbar
Medienmitteilung zum Unterricht an Hochschulen.

11 Lehre an den Hochschulen
Erfahrungen mit digitalen Lerntechnologien.

12 Bildungsverlust infolge akuter Digitalisierung?
Überlegungen zum Fernunterricht.

14 Prüfungen online
Ein erfreulicher Erfahrungsbericht.

Pflichtlektion Zürich
15 – 18  Das Mitgliedermagazin der Sektion Zürich Lehrberufe

Politische Bildung

19 Demokratie stärken!
Die Initiative «Demokrative».

20 Politisch handlungsfähig werden
Zur Politischen Bildung an den Gymnasien.

Bücher

21 Generation Z im Blick
Die Reportageserie #GymiZyte. 

22 Antifaschist, Verleger, Theaterfreund
Eine Annäherung an Emil Oprecht.

23 Haus mit Garten für den Frieden
Ein Buch über den «Gartenhof» in Zürich.

Aktuell

24 Für ein Lernen mit Lust und Freude
Die Kolumne des Vereins für eine Schule ohne Selektion.

25 Indiziensuche
Wie sich Schulen in einer privatkapitalistischen Welt behaupten.

28 Berufsbildung
Wie sie wurde, was sie ist.

29 Steigende Anforderungen
Entwicklung der Lehrstellen und Lehrabschlussprüfungen in Basel-Stadt.

30 Porträt
Die Physikerin und Lehrerin Angelika Pfäfflin.


Impressum

Redaktion / Koordinationsstelle
Birmensdorferstr. 67
Postfach 8279, 8036 Zürich
Tel: 044 266 52 17
Fax: 044 266 52 53

Email: redaktion@vpod-bildungspolitik.ch
Homepage: www.vpod-bildungspolitik.ch

Herausgeberin: Trägerschaft im Rahmen des Verbands des Personals öffentlicher Dienste VPOD

Einzelabonnement: Fr. 40.– pro Jahr (5 Nummern)
Einzelheft: Fr. 8.–

Kollektivabonnement: Sektion ZH Lehrberufe;
Lehrberufsgruppen AG, BL, BE (ohne Biel), LU, SG.

Satz: erfasst auf Macintosh
Layout: Sarah Maria Lang, Brooklyn
Titelseite Foto: .marqs / photocase.de
Druck: Ropress, Zürich

ISSN: 1664-5960

Erscheint fünf Mal jährlich

Redaktionsschluss Heft 218:
17. August 2020

Auflage Heft 217: 2800 Exemplare

Zahlungen:
PC 80 – 69140 – 0, vpod bildungspolitik, Zürich

Inserate: Gemäss Tarif 2011; die Redaktion kann die Aufnahme eines Inserates ablehnen.

Redaktion
Verantwortlich im Sinne des Presserechts
Johannes Gruber

Redaktionsgruppe
Susanne Beck-Burg, Christine Flitner, Fabio Höhener, Anna-Lea Imbach, Markus Holenstein, Ute Klotz, Ruedi Lambert (Zeichnungen), Thomas Ragni, Michela Seggiani, Béatrice Stucki, Ruedi Tobler, Yvonne Tremp (Präsidentin), Peter Wanzenried, Kerstin Wenk

Beteiligt an Heft 217
Sabine Jenni, Alexander Jungo, Katrin Meier, Angelika Pfäfflin, Valentin Schönherr, Martin Stohler, Ernst Waldemar Weber, Rebecca Welge

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Wednesday, 10. June 2020, 21:39 159182515409Wed, 10 Jun 2020 21:39:14 +0100, Posted by admin1 in Heft 217, 0 Comments

vpod bildungspolitik 217


Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts
Wie geht es weiter an den Hochschulen?

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Wednesday, 10. June 2020, 21:07 159182325709Wed, 10 Jun 2020 21:07:37 +0100, Posted by admin1 in Heft 217, 0 Comments

Bildungsverlust infolge akuter Digitalisierung?


Überlegungen zum Fernunterricht in der Hochschullehre. 

Von Tobias Studer 

Mit dem Lockdown aufgrund der Covid-19-Pandemie sahen sich die Hochschulen mit der Erwartung konfrontiert, die gesamte Lehre auf Fernunterricht umzustellen.1 Aus Sicht der Hochschulen scheint die akute Digitalisierung des Unterrichts unkompliziert gelungen zu sein, was allgemein positiv hervorgehoben wird. Die Entwicklung wirft allerdings auch ein etwas unangenehm anmutendes Licht auf die Hochschullehre, ging man doch eigentlich davon aus, dass Bildung mit unmittelbaren Interaktionen sowie direkt diskursiv geführten Auseinandersetzungen verbunden sein müsse, da es ansonsten zu einem Bildungsverlust komme. Auf diese Widersprüche wird allerdings kaum aufmerksam gemacht.

«Wenn Bildung zu einem
vorpräparierten Gut wird,
[…] ist der Schritt zu einer
Veranstaltung ohne Präsenz
von Dozierenden ein
kleiner.»

Im hochschuldidaktischen Duktus akuter Digitalisierung hat sich eine Unterscheidung zwischen synchroner (direkter) und asynchroner (indirekter) Kommunikation durchgesetzt: Die Studierenden haben die Möglichkeit, sich entweder direkt – also vermittelt über etwelche Video-Tools – mit Dozierenden oder KommilitonInnen auseinanderzusetzen oder sich von Ort und Zeit unabhängig mit den vorbereiteten Inhalten zu beschäftigen. Unter Letzterem ist zu verstehen, dass die in vielen Fällen bereits angefertigten Präsentationen mit einer Video- und Tonspur versehen werden. Zu diesen scheinbar problemlosen digitalen Formen kontrastiert der wohltuend und doch fast antiquiert erscheinende Hinweis an der Hochschule, ein Studium könne ja gut auch mit der Lektüre von Texten bestritten werden. Die Aufforderung, die Studierenden könnten in dieser Zeit des Fernunterrichts ja einfach etwas lesen, steht freilich quer zum Entscheid, infolge der Pandemie den Unterricht umfassend zu digitalisieren. Gemessen an einem kritischen Bildungsverständnis wäre zumindest zu diskutieren, was es zu bedeuten hat, wenn Hochschulen ihre Lehrformen innert weniger Wochen komplett auf einen online stattfindenden Unterricht umstellen können und dies auch bereitwillig tun. 

Interessanterweise existierten die aktuell akut umgesetzten digitalen Lehr- und Lernformen bereits vor Corona. Sie wurden aber nur wenig eingesetzt. Dass Dozierende ein zwiespältiges Interesse daran haben könnten, ihren Unterricht aufzuzeichnen und online zugänglich zu machen, wurde rund um digitales Lehren an den Hochschulen nicht angemessen diskutiert. Insofern macht es den Anschein, als könnten die Hochschulen dank der Pandemie die Diskussion der Probleme der Digitalisierung für die Bildung umgehen und gleichsam suggerieren, Bildung dank der Digitalisierung befördert zu haben. So aber laufen sie Gefahr, einem systematisch erzeugten Bildungsmissverständnis aufzusitzen.

Was genau bedeutet Bildung?

Bildung unter Zwang ist gleichbedeutend mit Erziehung und Anpassung. Bildung in einem kritischen Sinne ist mit Musse verbunden, mit verfügbarer Zeit und mit der weitgehend selbstgesteuerten Auseinandersetzung mit Inhalten. Wo es um das kritische Nachvollziehen von Argumenten geht, stellt das körperlich vorhandene Gegenüber eine entscheidende Projektionsfläche im Prozess des Lernens dar. Bildung ist nicht nur Auseinandersetzung mit Wissen, sondern auch ein persönlicher Prozess im Austausch mit den Personen als Wissensträger, eine Auseinandersetzung mit den Personen als Träger einer Sachautorität. Dies gilt auch umgekehrt, auch die Dozierenden sind auf ein Gegenüber angewiesen, welches im digitalen Raum verloren geht. 

In der Didaktik liegt ein Moment des Betrugs an den Studierenden, insbesondere auch im Falle einer digitalen Form: Das Erleben von Kultur und die Auseinandersetzung mit Wissensinhalten wird unter pädagogischen Gesichtspunkten begrenzt, was die Möglichkeit einer assoziativen Auseinandersetzung mit der Realität raubt oder zumindest einschränkt. Gleichzeitig ist eine kritisch verstandene Bildung auch an die materiellen Bedingungen zurückzubinden: Wem wird welche Bildung zur Autonomie verwehrt, welche Privilegien sind im Bildungssystem in welcher Form vorhanden? Wo Bildung zu einer im Voraus zurecht gestutzten – oder heutzutage eben digital vorpräparierten – Wissensvermittlung wird, droht sie zur Halbbildung zu werden, wie das Theodor W. Adorno 1959 allgemein beschreibt: Halbbildung verliert die Möglichkeit der Erfahrung ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit, indem Bildung auf das Sammeln von Wissensbeständen reduziert wird. 

Bildung bleibt in ihrer bestehenden Form grundlegend widersprüchlich, eine Kritik an den aktuellen Veränderungen schliesst die Kritik an der bestehenden Form nicht aus: Verschulung (die Hochschullehre ist durch die Orientierung an 45’-Lektionen und Präsenzpflicht zeitlich und örtlich in ähnlicher Weise wie die Primarschule strukturiert) und Kirchen-Ähnlichkeit (der Dozent als Träger des Wissens auf der Kanzel im Hörsaal) unterschlagen das Potential einer kritischen Bildung als Auseinandersetzung. 

Zur Kritik einer digital präparierten Halbbildung

Vor dem Hintergrund dieses kritisch-materialistischen Bildungsverständnisses lassen sich folgende Aspekte zum Fernunterricht in der Hochschullehre benennen: 

1. Wenn Bildung zu einem vorpräparierten Gut wird, welches sich entlang von einer begrenzten Anzahl Bullet Points und Stichworten auf Präsentationen notieren lässt, ist der Schritt zu einer Veranstaltung ohne Präsenz von Dozierenden ein kleiner. Insofern sind auch Bedingungen geschaffen, bei denen es die Dozierenden als Gegenüber in der Tat nicht mehr braucht. Dass Instrumente aus der Unternehmenslogik übernommen werden, wissen wir bereits seit der flächendeckenden Einführung von Präsentationen, welche den Dozierenden als Entwickler eines Arguments an der Wandtafel ablösten. Wo also kein Inhalt vorhanden ist, lässt sich getrost auf Didaktik und Methodik setzen. 

2. Bildung wird dann zur Halbbildung, wenn die digitalen Formate dazu verwendet werden, die Inhalte in ihrer vermeintlichen Eindeutigkeit noch zu stärken. So zeigt sich im Hochschulkontext bei den Studierenden eine veritable Sammelwut von Präsentationen und Dokumenten aus Lehrveranstaltungen; das Sammeln von Inhalten und nicht das erfahrungsbezogene Durchdringen der Themen rückt in den Vordergrund. In seiner Theorie zur Halbbildung hat Adorno beschrieben, dass der technische Fortschritt unter den vorherrschenden Bedingungen eine Zweideutigkeit aufweist, da möglicherweise der Zugang zu Bildung vereinfacht wird, gleichsam die Qualität von Bildung im oben beschriebenen Sinne aber zu erodieren droht. 

3. Die aktuellen Entwicklungen machen deutlich, dass in der Lehre digitalisiert wird, weil es technisch machbar ist und als besonders kosteneffizient definiert wird, und nicht, weil es Sinn macht. Es soll nicht bestritten werden, dass es Wissensinhalte gibt, die bestens über die neuen technischen Mittel gelernt werden können. Auf dieser Ebene unterscheidet sich das Lernen allerdings nur geringfügig vom alten Vokabel-Kasten, in welchem das zu lernende Wissen abgelegt und gelernt wird. Dass die Einführung neuer Lern- und Lehrtechnologien auch bisweilen zu pädagogischen Leerläufen führt, liesse sich an den in den 1970er-Jahren flächendeckend eingebauten und rasch wieder entfernten Sprachlaboren in der Volksschule beobachten. 

4. Die aktuellen Digitalisierungsbestrebungen werden an den Hochschulen bereits jetzt mit den Vorstellungen und Erwartungen verbunden, dass sich die Entwicklungen auch nach der Krise weiter in der Lehre verankern lassen. Es macht allerdings den Eindruck, als wären neben inhaltlichen Fragen auch weitere organisationale Aspekte dieser Veränderungen noch ungeklärt: So liessen sich durchaus Gründe für einen digitalen Fernunterricht finden, wenn damit Freiheitsgrade erhöht werden. Insofern wäre eine zentral zu klärende Frage, inwiefern ein Fernunterricht neuen Ausschluss produziert und wo er allenfalls auch verbesserte Inklusion schaffen kann. Es liesse sich durchaus mit unterschiedlichen Formen experimentieren, ohne digitales Lernen und Lehren gleich zum Dogma zu erheben und anzunehmen, dass digitales Lernen per se inklusiver und zugänglicher ist. 

5. Eine interessante und abschliessende Beobachtung ist im Zusammenhang mit den sogenannten Leistungsnachweisen erkennbar: Für das Frühlingssemester wurde aufgrund des Fernunterrichts eine grosse Flexibilität bei der Gestaltung von Leistungsnachweisen möglich. Das eingeführte «Notrecht» ermöglichte gegenüber den Studierenden den Nachweis ihres Lernprozesses ihren jeweiligen individuellen Situationen angemessen zu gestalten, wie beispielsweise bei verstärktem familiärem Betreuungsaufwand. Unter «normalen» Bedingungen sind für alle entsprechenden Anpassungen ärztliche Bescheinigungen oder ein Beleg entsprechender familiärer Belastungen seitens der Studierenden notwendig. Dass es machbar ist, Studierenden die individuell notwendigen und für den Bildungsprozess sinnvollen Zeiten und Formen von Leistungsnachweisen zur Verfügung zu stellen, ohne dass eine Hochschule an dieser «Uneinheitlichkeit» zerbricht, konnte erst eine Pandemie zeigen. Nichtsdestotrotz zeichnet sich bereits ab, dass die Rückkehr zur «Normalität» mit einer Abkehr von diesen Möglichkeiten verbunden ist. 

Letztlich bleibt auch die akute Digitalisierung im Bildungssystem der in Bildung inhärenten Dialektik verhaftet. Bildung bleibt ein gesellschaftliches Versprechen, hat aber die Problematik ihrer eigenen Reduktion auf Halbbildung immer schon in sich. Es wäre das Mindeste, dass der mögliche Verlust an Bildung in der allgemeinen Digitalisierungs-euphorie mitgedacht wird.  


Dr. Tobias Studer arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW in Olten. Er lehrt und forscht zu den Themen Kritische Theorie in der Sozialen Arbeit, Arbeitsintegration, Pflegefamilien, Bildung und Sozialpädagogik.


1 Der Schreibende arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW und sah sich Mitte März mit der Situation konfrontiert, mitten im Semester sowohl grössere als auch kleinere Lehrveranstaltungen als Fernunterricht weiterführen zu müssen. Die Rückmeldungen der Studierenden nach rund zwei Monaten zeigen, dass sich die Lehre auch in Form von Video-Konferenzen aufrechterhalten lässt, Diskussionen über Texte und Inhalte aber nur erschwert möglich sind. In kleineren Gruppen ist ein Austausch über die entsprechenden Video-Tools machbar, durch die Distanz der Online-Formate ist aber non-verbale Kommunikation wie Mimik und Gestik in Gesprächen schwierig einzuschätzen.


Bild: view7 / photocase.de

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Wednesday, 10. June 2020, 18:49 159181499906Wed, 10 Jun 2020 18:49:59 +0100, Posted by admin1 in Heft 217, 0 Comments

Schule unterwegs


Die Herausforderungen der Corona-Zeit legen es nahe, neue Formen des Unterrichts zu suchen. Ein Bericht aus einer Primarschulklasse.

Von Susanne Beck-Burg

Das heftige Corona-Unwetter verhagelte auch die Schulen. Plötzlich und notstandspflichtig, wurden die Türen unserer öffentlichen Lehranstalten verrammelt. Zum Schutz gegen die Corona-Hagelkörner, aus Furcht vor den Corona-Viren.

Rasant schnell wurde auf digitalen Fernunterricht umgestellt. Mediale Konzepte schossen wie Pilze aus dem Boden. Aber aus welchem Boden eigentlich? Hors-sol! Einem Gemisch aus wässrigen Elementen ohne Bodenhaftung. – Zum Glück ist meine Stellenpartnerin versiert in digitalen Räumen. Ihr verdankt es die erste Klasse im Plänke Schulhaus Biel, dass sie in Windeseile Zugang zu einer virtuellen Lernplattform bekam. Einem «padlet», in das sich die 7-jährigen Studentinnen und Studenten mithilfe ihrer Eltern und einem lustigen Passwort, das sie aus einem Unterrichtsritual kennen, einloggen konnten.

«Ein echter Unterricht,
das wissen alle, entsteht
durch die originale Begegnung.
Wir Lehrkräfte entbehrten
unsere Schüler*innen.»

Blühendes Homeschooling

Zu jedem Fach gab es eine Spalte mit Lernvorschlägen und diversen Verlinkungen zu attraktiven Angeboten, zu coolen Lernvideos. Dank kreativen und aktiven Eltern, die Ausschnitte aus ihrem Homeschooling filmten und aufs padlet luden, sahen die Gspänli täglich mehr in andere Familien-Lernstuben und Kinderzimmer hinein und konnten sich gegenseitig anregen lassen.

Die Kinder sahen und hörten einzelne Mitschüler*innen am Klavier, erfuhren, wie eine andere Familie ihren Garten in eine Hindernislauf-Landschaft verwandelte, lies-sen sich von einem afrikanischen Vater, der mit seinem Sohn die Trommel rührte, zum Tanzen auffordern; wieder andere Familien sammelten Kräuter und entzündeten Feuer im Wald, Rätsel wurden gelöst und kreiert, erste chemische Experimente wurden gefilmt und dokumentiert. Mathematische Serien mit Wettbewerbscharakter wurden angepeilt, Lerntagebücher veröffentlicht. Faszinierend und vielfältig blühte das Homeschooling auf. Unerschöpflich arbeiteten einige Eltern, welche Zeit und die Motivation dazu hatten.

Wir Lehrerinnen und Lehrer konnten vieles lernen von ihnen. Nicht selten hatten wir den Eindruck: «Da wird konzentrierter gearbeitet als es in unserem Klassenzimmer möglich ist, wo auf engem Raum 21 Kinder aufs Mal mit verschiedensten Bedürfnissen und Konstellationen gefördert werden sollen.»

Bereicherung um reale Momente

Stets klarer wurde aber von den Eltern und Kindern rückgemeldet, dass die richtige Schule fehle. Ein echter Unterricht, das wissen alle, entsteht durch die originale Begegnung. Wir Lehrkräfte entbehrten unsere Schüler*innen. Wir waren unseres Métiers beraubt, wir waren entwurzelt. Um die virtuelle Situation wenigstens um ein Weniges in Richtung Realität zu bewegen, starteten meine Stellenpartnerin und ich zu Fuss und per Velo zu einem Quartierrundgang. Wir suchten alle Wohnadressen unserer Schülerinnen und Schüler auf und verteilten Arbeitsmaterial in die Brief- und Milchkästen Aber Ohalätz! Diese Aktion wurde von anderen Kolleginnen als grenzwertig eingestuft: «Ihr verteilt nicht nur Arbeitsdossiers, ihr bringt auch Corona-Viren in Umlauf. Diese haften an den Oberflächen eures Materials, das ihr verteilt. Auch bringt ihr euch selber in Gefahr, wenn ihr Arbeitsblätter zur Korrektur wieder einsammelt. Tragt ihr nicht einmal Handschuhe? Bleibt doch beim digitalen Vermitteln. Dies ist sauber, viren- und risikofrei!» 

Nun denn, die Eltern konnten selber entscheiden, ob sie unsere Post im Milchkasten aus Vorsicht vor etwaigen Viren liegen liessen. Es gab genug definitiv hygienisch einwandfreies Lernmaterial auf dem padlet. Wir zwei Lehrerinnen jedenfalls schwirrten wie Phantome durch die menschenleeren Strassen und verteilten Osterhasen-Arbeits-Dossiers, Springseile und Mathematik-Knöpfe in Stoffsäcklein verpackt. Hinter unserer Post-Tour steckte eine Hoffnung. Diese wurde erfüllt, als ein Kind auf dem Balkon seiner Wohnung im ersten Stockwerk erschien und wir ein paar Worte live mit ihm wechseln konnten. Solche Highlights wiederholten sich ein paar wenige Male. Wir haben aber sehen müssen, dass nicht alle Kinder in der feudalen Lage eines Balkons waren. So mussten wir uns also zufrieden geben, Kinderstimmen durch die Gegensprechanlage wahrzunehmen.

Bald einmal kam dann die Empfehlung der Schulleitung mit Wochenplänen zu arbeiten. Kein Problem! Interessanterweise bekamen wir gute Rückmeldungen von Eltern, denen inzwischen die Wahl (Auswahl auf dem padlet) teilweise zur Qual wurde. Sie waren erleichtert, als sie diskussionslos sich auf einen vorgegebenen (Wochen)-Plan einlassen konnten. An einer Klassen-Zoom-Konferenz mit den Schüler*innen kam zum Ausdruck, dass sie, obwohl sie sich darauf gefreut hatten, schnell ermüdeten. Nach einer halben Stunde, als noch nicht einmal alle ein einziges Mal zu Wort gekommen waren, begann eines nach dem andern sich abzumelden: «Ich bin müde, ich möchte mit meinem Bruder spielen.»

Konzeptuelle Überlegungen für den Neubeginn

Der Unwetter-Notstand fand ein Ende, die Aussicht auf schönes Wetter stieg, die Schulen standen vor ihrer Wiedereröffnung, unter Berücksichtigung der kantonal bestimmten Massnahmenpakete! Wir Lehrkräfte studierten die neuen Richtlinien für die Corona-bewusste Gestaltung des Unterrichts und die erwünschten und obligatorischen Hygiene-Vorschriften. Die Schulleitungen arbeiteten auf Hochtouren und regelten, was zu regeln war und noch mehr. Konnte ich als Lehrkraft jetzt also zuversichtlich wieder vor der Klasse stehen? Theoretisch vielleicht! Viele Fragen bedrängten mich aber in den Tagen vor dem Wiedereinstieg. Wie bringe ich die Händewasch-Zeremonien mit 21 Kindern und nur einem Lavabo über die Bühne? Wie werde ich dem zu erwartenden Bewegungsdrang der seit 8 Wochen eingesperrten Kindern gerecht? Wie erfasse und handhabe ich die auseinanderklaffenden Lernstände? Wo hole ich die Kinderschar ab? Was ist als Erstes dran? Welche Inhalte stimmen für welche Kinder? Wie sind alle Bedürfnisse unter einen Hut zu bringen? Ein Gefühl von Fremdbestimmtsein belastete und liess sich nicht wegdrängen. 

Im Austausch mit einer Kollegin, die an einer Unterstufe in Wetzikon unterrichtet, versuchte ich mir bewusst zu werden, wo der Schuh am meisten drückte. Sie berichtete mir, dass in ihrem Kanton gemäss Verordnung in Halbklassen unterrichtet würde, und dass in ihrer Schule mithilfe von Fachlehrern die Halbklassen noch zusätzlich zu Viertelklassen halbiert würden. Mittwochs sei vorläufig noch unterrichtsfrei, da sich nichts Sinnvolles organisieren liesse. – Ich fragte mich, wie es komme, dass im Kanton Bern nur für zwei Tage Halbklassen-Unterricht vorgesehen ist und nachher wieder «courant normal» herrsche.1 Worauf basieren die verschiedenen Massnahmen-Beschlüsse? Wer kann sie nachvollziehen? Wäre es nicht angebracht, wenigstens zu erproben, ob es wirklich klappt mit einer quasi sofortigen Herstellung der Vor-Corona-Verhältnisse? Und mit Alternativen im Vorrat für den negativen Verlauf der Probezeit. Denn wer weiss, in welchem Zustand die Kinder nach den Homeschooling-Wochen daherkommen. Nicht alle Eltern hatten die Möglichkeit, ihre Kinder sinnvoll zu beschäftigen: Einige sind eventuell der medialen Spielsucht verfallen. Wer weiss, wie lange es braucht, bis eine Klassengemeinschaft sich wieder gefunden hat? Wie realistisch  ist die Umsetzung der  Hygiene- und Abstandsmassnahmen? 

Lernen im Freien

Als ich von einer Kollegin (aus einem anderen Schulorganismus) aufschnappte, dass in ihrem Schulhaus aufs Singen verzichtet werden müsse, da durch zu starke Luftbewegung Viren unvorteilhaft verteilt würden, hätte ich fluchen können. Inwieweit werden wir Lehrkräfte abhängig und zu Marionetten? Auch noch in der Nachnotstandszeit! In unserem Schulhaus sind die Massnahmen zwar nicht auf solche Art ins Absurde ausgewachsen. Aber warum sollte ich mich unter total unberechenbaren Umständen mit 21 Lernenden in unser zu kleines Klassenzimmer einpferchen lassen? Inmitten der Stadt Biel, vom Lärm oft so belästigt, dass die Fenster geschlossen bleiben müssen. Mit einem wegen einer Baustelle (Turnhallenbau) sehr eingeschränkten Pausenhof. Das Modell Frontalunterricht mit räumlicher Abgrenzung des Lehrerpults konnte mich nicht überzeugen. Welch einschränkende, armselige Perspektive! Sollte ich pflichtbewusst, ergeben und resigniert vor mich hinlabern: «Es ist, wie es ist! Da kannst du nichts ändern.» – Ich entschloss mich zur Flucht nach vorn. Für meine Situation sah diese so aus: Outdoor-Unterricht im Freien für alle Lektionen und Fächer; zumindest für die Lektionen, für die keine Möglichkeit zu einem entflechtenden Teamteaching zu organisieren war. Ich unterbreitete meiner Schulleitung mein Anliegen und die konzeptionellen Ideen dazu: Sich wiederfinden als Klasse durch Erlebnispädagogik, bewegten nachhaltigen Unterricht im Freien um dem Bewegungsmangel bei untersagter Turnhallenbenutzung entgegenzuwirken. Ganzheitliches, nachhaltiges, lebensnahes Lernen mit Sinneswahrnehmungen. Stärkung der Klassengemeinschaft, salutogenetisch.

Da die Schulleitung einverstanden war, sind wir seit der Wiedereröffnung der Schule für circa 12-15 Lektionen pro Woche und bei jedem Wetter unterwegs und lehren und lernen im nächstgelegenen Wald, Park auf einem Spielplatz oder auf dem Falbringer Bauernhof. Weil wir keinen ÖV benutzen dürfen und die Kinder sich die Hände nicht geben sollten, halten sich immer 2 Kinder via Springseil in der Zweierkolonne. So schaffen wir den erforderlichen zivilisierten Gang durch die Bieler Strassen. Wir nehmen dabei bis zu einer Dreiviertelstunde Fussweg zu unsren ausgewählten Plätzen für den Outdoor-Unterricht in Kauf. Die Kinder sind wetterfest und mit Rucksack ausgerüstet. Darin wird ausser dem persönlichen Znüni, Waldheft und Etui (sowie eventuell einem Sitzkissen) noch Allgemeinmaterial mitgeschleppt, das heisst Schiefertafeln, Kreiden, Schwämme, Wasserflaschen, Wasserbecken, laminiertes Schulmaterial, Planen, trockenes Holz (je nach Wetter), Pfanne, Teigwaren zum Kochen, Tücher, Planen, Seile und Schnüre, Säge, Zeckenspray, Taschenapotheke, Lupen, Bücher und Becher, Plastikhandschuhe, Taschen für Sammler etc. Wir experimentieren und stützen uns auf Erprobtes. So schrieben etwa alle den gewohnten Math-Blitztest auf ihrem Niveau im Pavillon oberhalb Biel.

Nötiges Gegengewicht

Das Vorantreiben des Outdoor-Erlebnis-Unterrichts scheint mir notwendiger denn je, als dringend erforderliches Gegengewicht zur digitalen Lernkultur und dem Fernunterricht, die im Begriff sind, sich schnell und raffiniert zur Selbstverständlichkeit zu entwickeln. Der Einstieg ins naturverbundene, die Persönlichkeit stärkende Outdoor-Lernen ist vorerst für viele mit Vorstellungen ungewohnten Aufwands verbunden. Auch Vorurteile darüber, was schulisches Lernen beinhalten soll und was nicht, müssen weggeräumt werden. Die tiefe nachhaltige Zufriedenheit der Schüler*innen mit der Schule, das steigende Selbstvertrauen, das Stark-Werden, das gute Echo von Eltern spornt an, weiter in diese Richtung zu gehen und beim Organisieren und Durchführen einer «Schule unterwegs» weitere Fortschritte zu machen. – Genaueres über den Ablauf einzelner Schulmorgen draussen eventuell in einer Fortsetzung.

Worben, 30.5.2020     


Susanne Beck-Burg führt zur Zeit, zusammen mit einer Stellenpartnerin, eine 1. Klasse in Biel, wo sie seit 2016 bereits als IF-Lehrkraft arbeitete. Sie war in verschiedenen alternativen Schulprojekten tätig. Mit 57 Jahren absolvierte sie die Pädagogische Hochschule als «Quereinsteigerin», nachdem sie mit 17 aus dem Lehrerseminar ausgestiegen war. Susanne Beck-Burg ist Mitglied des «Vereins für eine Schule ohne Selektion» und der Redaktionsgruppe der «vpod bildungspolitik».


1 Dass der Kanton Bern den Schulen Spielraum für die Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts gelassen haben soll, wie Béatrice Stucki auf Seite 7 schreibt, kam bei den Lehrpersonen an unserer Schule nicht an. Aus dem damaligen Leitfaden der Bildungs- und Kulturdirektion wurde das jedenfalls nicht deutlich, dort heisst es, «Die ersten beiden Tage des Präsenzunterrichts (11. und 12. Mai 2020) werden im Halbklassenunterricht organisiert […] Ab Mittwoch, 13. Mai 2020 wird der Unterricht grundsätzlich in allen Fächern aufgenommen.»


Foto: Beat Beck

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Wednesday, 10. June 2020, 18:39 159181439506Wed, 10 Jun 2020 18:39:55 +0100, Posted by admin1 in Heft 217, 0 Comments

Gewonnene Zeit nutzen!


Die Corona-Krise ist gerade im Bildungsbereich noch nicht überwunden. Schutzkonzepte müssen weiterentwickelt und umgesetzt werden.

Von Johannes Gruber

In ihrer Medienmitteilung vom 15.5. zieht die EDK eine positive Bilanz der Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts an den obligatorischen Schulen. Als geglückt bezeichnet sie auch die unterschiedlichen Wege der Umsetzung in den Kantonen: «Diese Unterschiede entsprechen unserem föderalen System und erweisen sich auch in der aktuellen Situation als hilfreich: Die Kantone können den unterschiedlichen Gegebenheiten mit unterschiedlichen Lösungen begegnen.»
Dokumentiert ist dies auch in der vorliegenden «vpod bildungspolitik 217»: Während Zürich wie die Westschweizer Kantone bis zum 8. Juni mit Halbklassenunterricht arbeitete, nahmen Basel-Stadt und Basel-Land den regulären Präsenzunterricht bereits am 11. Mai wieder auf, Bern wiederum startete mit Halbklassenunterricht und ging dann rasch wieder zum Regelbetrieb über. 

Schutz der Lehrpersonen prioritär

Unterschiedliche Einschätzungen herrschten auch innerhalb der Regionen des VPOD; diese hatten zur Auswirkung, dass der Verband zu der zentralen Frage der Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts keine nationale Position verabschiedete. Einigkeit besteht über alle Unterschiede hinweg jedoch bei der Frage, dass der Gesundheitsschutz der Lehrerinnen und Lehrer eine hohe Priorität hat, insbesondere der besonders gefährdeten. 

Die jeweiligen Konzepte von Kantonen und Schulen dürfen beim Schutz der Lehrpersonen keine Interpretationsspielräume bieten, damit kein Druck auf diese entsteht, auf angemessenen Schutz «freiwillig» zu verzichten. Ohnehin können Schutzkonzepte in der Realität wohl nicht immer konsequent eingehalten werden. Und manche Fragen wie zum Beispiel zum Umgang mit Arbeitnehmenden, in deren Haushalt gefährdete Personen leben, sind weiter ungelöst. 

Aus welchen Gründen auch immer sind im Kanton Zürich sehr viel weniger Lehrpersonen aus Gefährdungsgründen ausgefallen, als von der Bildungsdirektion erwartet. Ob dies die Folge von äusserem Druck oder eigenem Wunsch der Lehrpersonen war, ist schwer zu sagen. Wo verläuft die genaue Grenze zwischen beiden? 

Damit Fragen zum Schutz geklärt werden können, braucht es in den Kantonen zuständige Ansprechstellen für Arbeitnehmende. Es ist wichtig, dass diese Aufgabe von einer neutralen Stelle wahrgenommen wird, denn Schulleitungen können diese aufgrund von Befangenheit nicht wahrnehmen.

Kriterien für allenfalls notwendige Schulschliessungen?

Ob die Rückkehr zum Präsenzunterricht tatsächlich nachhaltig die von der EDK beschriebene Erfolgsgeschichte sein wird, muss sich erst noch weisen. Rückschläge wie die Ende Mai erfolgte Covid-19-Infektion zweier Schulkinder in Basel-Stadt wird es wohl noch länger geben. Aus Israel wird im Moment berichtet, dass bereits nach wenigen Wochen viele Schulen aufgrund steigender Infektionszahlen wieder geschlossen werden müssen. 

Eine solche Entwicklung ist auch bei uns im Bereich des Möglichen. Deswegen ist die EDK gefordert, klare Kriterien dafür zu entwickeln, unter welchen Bedingungen die Schulen wieder geschlossen werden müssten. Die EDK muss definieren, welche Schwellenwerte bei den Ansteckungen (Kanton, Gemeinde, Schulhaus) hierfür gelten sollen. Dies wäre ein wichtiger Beitrag, eine «zweite Welle» möglichst zu verhindern oder zumindest wirkungsvoll einzuschränken.   


Foto: Yvonne Tremp

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